Erst Kommt Das Fressen Dann Die Moral

Okay, stell dir vor: Grillabend. Freunde, Bier, die Sonne knallt. Und mittendrin Dieter, der immer einen Spruch auf Lager hat. Dieter, der gerade genüsslich in seine dritte Bratwurst beißt, während er lautstark über die "verkommenen Werte der Jugend" philosophiert. Kennst du so einen Dieter auch? Jeder hat so einen Dieter, oder?
Ich musste sofort an Bertolt Brecht denken. Genauer gesagt an seinen Satz: "Erst kommt das Fressen, dann die Moral." Ein Zitat, das gern mal auf Stammtischen und in hitzigen Debatten ausgepackt wird. Aber was steckt wirklich dahinter?
Brecht und die Realität
Brecht, der alte Marxist, wollte natürlich nicht sagen, dass wir alle egoistische Schweine sein sollen, die sich nur um ihren eigenen Bauch kümmern. (Obwohl… Dieter ist ja schon ein Extrembeispiel, oder?) Nein, vielmehr wollte er auf eine grundlegende Wahrheit hinweisen: Ohne ein Minimum an materieller Sicherheit, ohne genug zu essen, ist es verdammt schwer, moralische Ansprüche zu erfüllen.
Klingt logisch, oder? Versuch mal, jemandem, der hungert, zu erklären, warum er nicht stehlen darf. Oder einer alleinerziehenden Mutter, die drei Jobs hat, Moralpredigten über Work-Life-Balance zu halten. Ironie pur!
Die Pyramide der Bedürfnisse
Erinnert dich das vielleicht an Maslows Bedürfnispyramide? Erst die physiologischen Bedürfnisse (Essen, Trinken, Schlafen), dann Sicherheit, soziale Bedürfnisse, Wertschätzung und erst ganz oben die Selbstverwirklichung. Brecht hat im Grunde nur diese Pyramide auf den Punkt gebracht, mit einem ordentlichen Schuss Sozialkritik.
Und das ist ja auch das Ding: Brecht kritisiert nicht die Leute, die "fressen", sondern die Umstände, die sie dazu zwingen, das Fressen an erste Stelle zu setzen. Die Umstände, die verhindern, dass alle genug haben, um sich überhaupt Gedanken über Moral machen zu können. Verstehst du, was ich meine?
Mehr als nur ein platter Spruch
Man könnte jetzt natürlich sagen: "Joa, Brecht, ist ja nett, aber wir leben doch in einer Leistungsgesellschaft! Wer hart arbeitet, der hat auch was zu fressen." Stimmt, und stimmt auch wieder nicht. Es gibt genügend Leute, die hart arbeiten und trotzdem kaum über die Runden kommen. Und es gibt auch genug Leute, die "fressen", ohne dafür hart gearbeitet zu haben. Das ist doch die Crux, oder?
Der Spruch "Erst kommt das Fressen, dann die Moral" ist also kein Freifahrtschein für Egoismus. Sondern vielmehr eine Aufforderung, die Verhältnisse zu hinterfragen. Eine Aufforderung, dafür zu sorgen, dass alle Menschen die Möglichkeit haben, ein würdevolles Leben zu führen. Erst dann können wir wirklich über Moral reden.
Und was machen wir jetzt damit?
Also, was lernen wir daraus? Vielleicht, dass wir Dieter beim nächsten Grillabend einfach mal fragen, ob er nicht ein Stück Wurst abgeben möchte? Oder vielleicht, dass wir uns generell mehr für die Menschen um uns herum interessieren, die nicht so privilegiert sind wie wir. Vielleicht spenden, uns engagieren oder einfach nur zuhören. Kleine Gesten können viel bewirken.
Es geht nicht darum, die Moral komplett abzuschaffen. Sondern darum, sie in einen realistischen Kontext zu setzen. Und darum, dafür zu sorgen, dass alle Menschen die gleichen Chancen haben, ein gutes Leben zu führen. Denn erst wenn das Fressen gesichert ist, kann die Moral wirklich gedeihen. Und Dieter kann ungestört über die Jugend schimpfen. (Vielleicht…)
Denk mal drüber nach. Und guten Appetit!



