Todesanzeigen Von Heute Aus Der Hildesheimer Zeitung

Okay, mal ehrlich, wer von uns liest wirklich die Todesanzeigen in der Hildesheimer Zeitung von heute Morgen?
Das morgendliche Ritual (oder eben nicht)
Ich weiß, ich weiß, das gehört zum guten Ton. Ein bisschen Respekt zollen, Anteilnahme zeigen. Aber ganz unter uns: Bei mir überblättert das schlechte Gewissen immer. Es ist so... trist. Und irgendwie auch ein bisschen unheimlich, oder? Da blinzelt man in den Morgenkaffee und plötzlich liest man vom Ableben von Frau Müller, 87, friedlich entschlafen. Uff.
Ich bin nicht herzlos! Wirklich nicht. Aber diese Anzeigen haben so eine... Distanz. Manchmal kennt man ja sogar den Namen, aber dahinter steckt dann eben doch nur ein Name, keine Geschichte. Eine Geschichte, die jetzt vorbei ist.
Mein Opa, der war da anders. Der hat das regelrecht genossen. "Man muss wissen, wer gegangen ist," hat er immer gesagt. Und dann hat er stundenlang über die Verstorbenen philosophiert. Wer das war, was der so gemacht hat. War der gut? War der schlecht? War der reich? Fragen über Fragen! Ich hab' das nie so richtig verstanden.
Der Wettbewerb der Nachrufe
Und dann gibt es ja noch die Nachrufe. Manchmal sind die so lang und blumig, dass man sich fragt: War der wirklich so ein Heiliger? Oder haben die Angehörigen einfach nur den Schreiberling des Bestattungsinstituts beauftragt, mal so richtig aufzutrumpfen? Da wird dann von "unermüdlichem Einsatz für die Gemeinde" und "herausragender Menschlichkeit" gefaselt. Versteht mich nicht falsch, das mag ja alles stimmen. Aber manchmal klingt es einfach nur... übertrieben.
Ist das vielleicht ein Wettbewerb? Wer den schönsten, längsten, ergreifendsten Nachruf bekommt? Ich stelle mir gerade die Angehörigen vor, wie sie am Küchentisch sitzen und sich gegenseitig übertrumpfen: "Nein, wir schreiben auf jeden Fall 'liebenswerter Grantler'! Das passt viel besser!"
Ich: "Oma Erna war ein Engel!"
Bestatter: "Können wir das noch etwas... verstärken? Vielleicht 'Ein Engel auf Erden'?"
Und die Fotos! Die Fotos sind auch immer so eine Sache. Entweder uralt und unscharf, oder total gestellt und retuschiert. Niemand sieht im echten Leben so perfekt aus wie auf diesen Fotos. Oder? Vielleicht sollte man einfach ein Selfie nehmen. Ehrlicher geht's doch nicht, oder?
Die Frage nach dem Sinn
Aber was ist denn nun eigentlich der Sinn der Todesanzeigen? Ist es wirklich nur die Information, dass jemand gestorben ist? Oder steckt da mehr dahinter? Vielleicht ist es ja auch ein Trost für die Hinterbliebenen. Eine Möglichkeit, Abschied zu nehmen, sich zu erinnern, das Leben des Verstorbenen zu würdigen.
Vielleicht ist es auch ein bisschen wie ein Blick in den Spiegel. Wir lesen von anderen, die gegangen sind, und denken unweigerlich an unsere eigene Endlichkeit. Und das ist unangenehm. Sehr unangenehm.
Vielleicht sollte ich doch öfter mal in die Todesanzeigen der Hildesheimer Zeitung schauen. Nicht, um mir ein schlechtes Gewissen zu machen, sondern um mir bewusst zu machen, wie wertvoll das Leben ist. Auch wenn es manchmal trist und unheimlich ist.
Aber pssst! Sagt es niemandem, dass ich das geschrieben habe. Sonst halten mich alle für einen Heuchler.
Und mal ehrlich, wer freut sich nicht, wenn er nicht in der Zeitung steht?



