Kann Ich Trotz Krankschreibung Arbeiten Gehen

Die Frage, ob man trotz einer Krankschreibung arbeiten gehen darf, ist komplex und hängt von verschiedenen Faktoren ab. Es ist ein Thema, das sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber betrifft und oft zu Unsicherheiten führt. Eine Krankschreibung, offiziell Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genannt, ist eine ärztliche Bescheinigung, die besagt, dass ein Arbeitnehmer aufgrund einer Krankheit nicht in der Lage ist, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Aber was bedeutet das konkret? Darf man gar nichts tun, oder gibt es Spielräume?
Die Grundlagen der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird ausgestellt, wenn ein Arzt der Meinung ist, dass ein Patient aufgrund seines Gesundheitszustands nicht in der Lage ist, seine beruflichen Aufgaben zu erfüllen. Diese Bescheinigung dient als Nachweis gegenüber dem Arbeitgeber und der Krankenkasse. Wichtig ist zu verstehen, dass die Bescheinigung nicht automatisch ein Arbeitsverbot darstellt.
Was bedeutet "arbeitsunfähig"?
Arbeitsunfähigkeit bedeutet, dass die konkrete Tätigkeit, die der Arbeitnehmer üblicherweise ausübt, aufgrund der Erkrankung nicht oder nur unter erheblichen Risiken ausgeübt werden kann. Es geht also nicht um eine generelle Handlungsunfähigkeit. Jemand mit einem gebrochenen Bein kann beispielsweise durchaus administrative Aufgaben im Homeoffice erledigen, auch wenn er körperlich eingeschränkt ist.
Die Rolle des Arztes
Der Arzt beurteilt die Arbeitsfähigkeit aus medizinischer Sicht. Er berücksichtigt die Art der Erkrankung, den Schweregrad und die Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit des Patienten. Er gibt eine Prognose ab, wie lange die Arbeitsunfähigkeit voraussichtlich andauern wird. Diese Prognose ist aber nicht in Stein gemeißelt und kann sich ändern.
Darf man arbeiten, wenn man krankgeschrieben ist?
Grundsätzlich ja, man darf arbeiten gehen, auch wenn man krankgeschrieben ist. Allerdings gibt es einige wichtige Einschränkungen und Überlegungen, die berücksichtigt werden müssen.
Der Genesungsprozess darf nicht gefährdet werden
Der wichtigste Aspekt ist, dass die Arbeit die Genesung nicht verzögern oder gar verschlimmern darf. Wenn die Arbeit den Gesundheitszustand negativ beeinflusst, ist es ratsam und in vielen Fällen sogar geboten, auf die Arbeit zu verzichten. Wer beispielsweise eine schwere Grippe hat und sich trotzdem ins Büro schleppt, riskiert nicht nur eine Verschlimmerung der eigenen Erkrankung, sondern auch die Ansteckung von Kollegen.
Die Art der Erkrankung spielt eine Rolle
Die Art der Erkrankung ist entscheidend. Bei einer ansteckenden Krankheit wie Grippe oder Corona ist es unverantwortlich, zur Arbeit zu gehen, da man andere gefährdet. Bei weniger ansteckenden Erkrankungen oder solchen, die die Arbeitsfähigkeit nur in bestimmten Bereichen einschränken, kann die Situation anders aussehen.
Die Art der Tätigkeit ist entscheidend
Auch die Art der Tätigkeit spielt eine wichtige Rolle. Jemand, der körperlich schwer arbeitet, sollte sich bei einer entsprechenden Erkrankung schonen. Ein Büroangestellter hingegen kann möglicherweise einige Aufgaben im Homeoffice erledigen, auch wenn er krankgeschrieben ist. Es ist wichtig, die eigenen Grenzen zu kennen und sich nicht zu überlasten.
Rechtliche Aspekte
Aus rechtlicher Sicht gibt es einige Punkte zu beachten.
Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers
Der Arbeitgeber hat eine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Mitarbeitern. Er muss sicherstellen, dass die Arbeitsbedingungen die Gesundheit der Mitarbeiter nicht gefährden. Wenn ein Mitarbeiter trotz Krankschreibung arbeitet und dadurch seine Gesundheit riskiert, kann der Arbeitgeber verpflichtet sein, ihn nach Hause zu schicken. Der Arbeitgeber darf einen kranken Mitarbeiter nicht zwingen, zu arbeiten.
Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung
Während der Krankschreibung besteht in der Regel ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber. Dieser Anspruch kann jedoch gefährdet sein, wenn der Arbeitnehmer trotz Krankschreibung arbeitet und dadurch die Genesung verzögert. Die Krankenkasse könnte argumentieren, dass die Arbeitsunfähigkeit nicht mehr besteht, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich arbeitet.
Die Rolle der Krankenkasse
Die Krankenkasse hat das Recht, die Arbeitsunfähigkeit zu überprüfen. Wenn die Krankenkasse Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit hat, kann sie eine Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) veranlassen. Wenn der MDK feststellt, dass keine Arbeitsunfähigkeit vorliegt, kann die Krankenkasse die Zahlung des Krankengeldes einstellen. Dies kann auch passieren, wenn ein Arbeitnehmer trotz Krankschreibung arbeitet und dies der Krankenkasse bekannt wird. Es ist wichtig, die Krankenkasse zu informieren, wenn man trotz Krankschreibung wieder arbeiten möchte.
Praktische Beispiele und Szenarien
Um die Situation besser zu verstehen, hier einige praktische Beispiele:
- Beispiel 1: Ein Softwareentwickler hat eine leichte Erkältung ohne Fieber. Er fühlt sich nicht besonders schlecht und kann seine Aufgaben im Homeoffice problemlos erledigen. In diesem Fall spricht nichts dagegen, dass er arbeitet, solange er sich nicht überanstrengt und auf seinen Körper hört.
- Beispiel 2: Eine Krankenschwester hat eine schwere Grippe mit Fieber und Gliederschmerzen. Sie sollte auf keinen Fall arbeiten, da sie andere Patienten und Kollegen anstecken könnte und ihre eigene Genesung gefährden würde.
- Beispiel 3: Ein Bauarbeiter hat sich den Arm gebrochen. Er kann zwar nicht auf der Baustelle arbeiten, aber möglicherweise administrative Aufgaben im Büro übernehmen. In diesem Fall könnte er nach Absprache mit dem Arbeitgeber und dem Arzt eingeschränkt arbeiten.
Wie man richtig handelt
Wenn man sich unsicher ist, ob man trotz Krankschreibung arbeiten gehen darf, sollte man folgende Schritte beachten:
1. Rücksprache mit dem Arzt
Der wichtigste Schritt ist die Rücksprache mit dem Arzt. Er kann am besten beurteilen, ob die Arbeit die Genesung gefährdet oder nicht. Der Arzt kann auch Empfehlungen geben, welche Tätigkeiten man ausüben kann und welche vermieden werden sollten.
2. Gespräch mit dem Arbeitgeber
Es ist wichtig, offen mit dem Arbeitgeber über die Situation zu sprechen. Man sollte klären, welche Aufgaben man übernehmen kann und welche nicht. Es ist auch wichtig, die eigenen Grenzen zu kommunizieren und sich nicht unter Druck setzen zu lassen.
3. Information der Krankenkasse
Wenn man trotz Krankschreibung arbeiten geht, sollte man die Krankenkasse informieren. Dies ist besonders wichtig, wenn man Krankengeld bezieht. Die Krankenkasse kann dann beurteilen, ob der Anspruch auf Krankengeld weiterhin besteht.
4. Dokumentation
Es ist ratsam, alle Absprachen mit dem Arzt, dem Arbeitgeber und der Krankenkasse zu dokumentieren. Dies kann im Streitfall hilfreich sein.
Daten und Fakten
Es gibt nur wenige verlässliche Daten darüber, wie viele Menschen trotz Krankschreibung arbeiten gehen. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2018 ergab, dass etwa 15% der Arbeitnehmer in Deutschland angeben, trotz Krankschreibung zur Arbeit gegangen zu sein. Die Gründe dafür sind vielfältig: Verantwortungsbewusstsein gegenüber Kollegen, Angst vor Jobverlust oder finanzielle Sorgen.
Eine weitere Studie des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa) aus dem Jahr 2020 zeigte, dass das Phänomen des "Präsentismus" (also das Arbeiten trotz Krankheit) in den letzten Jahren zugenommen hat. Dies wird vor allem auf den steigenden Arbeitsdruck und die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitswelt zurückgeführt.
Fazit
Die Frage, ob man trotz Krankschreibung arbeiten gehen darf, lässt sich nicht pauschal beantworten. Es ist eine individuelle Entscheidung, die von verschiedenen Faktoren abhängt. Entscheidend ist, dass die Genesung nicht gefährdet wird und man sich nicht überlastet. Rücksprache mit dem Arzt, dem Arbeitgeber und der Krankenkasse ist in jedem Fall ratsam. Man sollte sich seiner Verantwortung bewusst sein, sowohl für die eigene Gesundheit als auch für die der Kollegen.
Handlungsempfehlung: Sprechen Sie offen mit Ihrem Arzt und Arbeitgeber. Klären Sie die Rahmenbedingungen ab und achten Sie auf Ihre Gesundheit. Dokumentieren Sie alle Vereinbarungen. Nur so können Sie sicherstellen, dass Sie die richtige Entscheidung treffen und rechtliche Konsequenzen vermeiden.



